Hallo zusammen!
Ich habe für euch ein kleines Tutorial vorbereitet, diesmal jedoch etwas theoretischer.
Ich weiß, dass unsere Leser sehr unterschiedliche Niveaus haben. Deshalb werde ich versuchen, mit sehr einfachen Worten sowie so klar und präzise wie möglich zu erklären (für manche Puristen mögen die Begriffe vielleicht nicht ganz exakt sein, aber für diejenigen, die die chinesischen Fachbegriffe oder einen sehr wissenschaftlichen Ansatz wünschen, seid ihr jederzeit willkommen für deutlich tiefere Erklärungen).
1. Einführung
In diesem Tutorial erkläre ich euch das erste Ji Ben Gong (Grundübungen), das wir all jenen beibringen, die Tai Ji Quan erlernen möchten. Dieses Ji Ben Gong ist für die meisten Stile gültig. Meister Zhang (Shi Heng Ye) ist unser Spezialist für Tai Ji Quan. Er praktiziert viele verschiedene Stile und studiert weiterhin neue. Er erklärt uns, dass alle Stile dieselben Grundlagen teilen, mit einigen unterschiedlichen Interpretationen und Variationen, und dass es daher sinnvoll ist, all diese Sichtweisen zu betrachten und die Vorteile aus jeder einzelnen zu ziehen.
Meine heutigen Erklärungen basieren daher auf einem sehr breiten Ansatz, sodass alle Tai-Ji-Quan-Praktizierenden – unabhängig vom Stil – davon profitieren können.
Wir betrachten Tai Ji Quan unter zwei großen Aspekten: den „Yang-Sheng“-Aspekt (Gesundheit und Wohlbefinden, im Westen am bekanntesten) und den martialischen Aspekt. Diese beiden Aspekte ergänzen sich gegenseitig.
Wir werden sehen, wie man diese Grundübung ausführt und was sie aus martialischer Sicht bringt. Es gibt viele sehr gute Artikel über den Gesundheits- und Wohlfühlaspekt, deshalb werde ich mich hauptsächlich auf den martialischen Aspekt konzentrieren und euch zeigen, wie ihr ihn auch in externen Kampfkünsten nutzen könnt – denn wir dürfen nicht vergessen, dass externe und interne Kampfkünste untrennbar miteinander verbunden sind.

2. 浑圆桩 Hun Yuan Zhuang
Dies ist der Name dieser Übung, es gibt viele mögliche Übersetzungen. Ich werde sie hier eher sinngemäß erklären: Es geht um die Arbeit mit einer Kraft bzw. Energie, die vom gesamten Körper ausgeht. Ich nenne sie in meinen eigenen Worten „kreisförmige Kräfte“. Das ist nicht der exakte Fachbegriff, erleichtert aber das Verständnis für alle.
Betrachten wir nun die Darstellung von Yin und Yang, die man in drei Teile gliedern kann:

– Der Kreis, der Yin und Yang enthält
– Yin
– Yang
Dies lässt sich so interpretieren, dass Tai Ji ebenfalls aus drei wesentlichen Ji Ben Gong besteht, die in jeder Form umgesetzt werden müssen.
Heute beschäftigen wir uns mit dem ersten: dem Kreis. Er wird immer als erster betrachtet, denn ohne den Kreis lassen sich Yin und Yang nicht aufbauen.
3. Die Bewegung
Dieses Ji Ben Gong ist äußerst einfach, da es sich im Grunde um eine einzige Haltung handelt.
Diese Haltung kennen die meisten Tai-Ji-Quan-Praktizierenden sehr gut. Sie wird oft als „Baumhaltung“ (Zhan Zhuang) bezeichnet.
Hier einige Bilder der Haltung:



Da dieses Ji Ben Gong lediglich das Halten einer Position ist, muss es korrekt ausgeführt werden:
– Der Körper ist entspannt
– Die Gelenke werden geöffnet und gelöst
– Die Brust wird leicht eingezogen
– Die Füße stehen etwas breiter als das Becken und leicht nach außen geöffnet
– Die Beine sind gebeugt
– Die Hüften sind entspannt, das Becken geöffnet
– Die Arme sind auf Schulterhöhe gebeugt
– Der Kopf hängt, als würde er an einem Faden nach oben gezogen
– Die Zunge liegt am oberen Gaumen an
Nun, da wir wissen, wie wir uns in die Position begeben, sehen wir uns an, wie man diese Haltung nutzt, um die „kreisförmige Kraft“ zu entwickeln.
Auf diesen Bildern habe ich drei Kreise eingezeichnet:

– in den Beinen
– in den Armen und im Brustkorb
– im Rücken und in der Verbindung zum Boden
Diese Kreise symbolisieren die verschiedenen „kreisförmigen Kräfte“, die vom Körper ausgeübt werden müssen. Es gibt weitere, die man in Büchern findet, doch diese drei sind die wichtigsten. Meister Zhang sagt oft: „Wenn es uns gelingt, diese drei kreisförmigen Kräfte gleichzeitig auszuüben, wird unser Körper selbst zum Kreis.“
3. Warum ein Kreis?
Die chinesische Philosophie und die chinesischen Kampfkünste haben seit jeher das Bild des Kreises für Praxis und Interpretation genutzt. Dazu findet man viele sehr gute Artikel.
Ich erkläre es hier aus martialischer Sicht anhand eines einfachen Beispiels.
Betrachten wir Steinbrücken: Die meisten sind gewölbt oder bogenförmig, weil diese Form wesentlich stabiler ist. Ich bin kein Physiker und erkläre hier nicht das „Warum“, aber man findet leicht entsprechende Erklärungen. Dadurch ist die Brücke deutlich widerstandsfähiger und kann große Kräfte aufnehmen. Zudem widersteht sie ständig der Schwerkraft. Ob ein Auto darüber fährt oder nicht, die Brücke bleibt stabil.
Daraus können wir den Kreis als eine konstante Kraft interpretieren, die immer vorhanden und extrem stark sowie widerstandsfähig ist.
Eine sehr gute Übung ist es, zu zweit zu arbeiten: Eine Person hält die Position, während die andere an Armen und Beinen Druck ausübt. Die Person in der Position muss widerstehen, ohne aktiv zu drücken (die Brücke drückt das Auto schließlich auch nicht nach oben).

4. Kreisförmige Kräfte und martialische Anwendungen
Ich habe mehrfach den etwas vagen Begriff „kreisförmige Kräfte“ verwendet – nun sehen wir, was er konkret bedeutet.
Ein Kreis ist letztlich nichts anderes als eine Abfolge vieler kleiner Punkte. Übertragen auf die Kampfkünste basiert die Kraft, die wir in Schlägen oder Bewegungen erzeugen, auf demselben Prinzip: eine Abfolge von Mikrobewegungen, die zusammen eine große Wirkung entfalten.
Wenn man einen Fauststoß ausführt, entsteht die Kraft nicht nur im Unterarm oder in der Schulter. Sie beginnt im Fuß, geht über Knie und Becken und tritt schließlich über die Faust aus. Das klingt selbstverständlich, doch nur sehr wenige Menschen sind in der Lage, dies korrekt umzusetzen, da es eine präzise Synchronisation aller Körperteile erfordert.
Man kann sich folgendes vorstellen: Euer Auto bleibt liegen und ihr müsst es schieben. Schiebt ihr es nur mit den Armen oder mit dem gesamten Körper? Die Antwort ist offensichtlich.

Im Alltag nutzen wir diese Art der Kraftübertragung bereits ganz natürlich. In den Kampfkünsten ist dies jedoch schwieriger, da viele Bewegungen nicht natürlich sind und eine hohe technische Komplexität haben.
Genau deshalb hilft euch diese Übung sowohl in euren Tai-Ji-Formen als auch in externen Kampfkünsten und verbessert eure Schlagkraft im Kampf.
Nehmt eine einfache Form, die ihr regelmäßig übt, und versucht sie mit diesem Tai-Ji-Prinzip auszuführen. Ihr werdet schnell feststellen, dass ihr sowohl an Geschwindigkeit als auch an Kraft gewinnt – auch wenn es viel Übung erfordert.
Für diejenigen, die ihre martialischen Formen verbessern möchten, empfehle ich ein einfaches Training: Nehmt etwa 30 Minuten eures Trainings, führt dieses Ji Ben Gong 1–2 Minuten lang aus, achtet auf all diese Punkte und übt anschließend eure Form, indem ihr dieses Prinzip integriert.
Dies ist nur eine Zusammenfassung der Art und Weise, wie wir diese erste Übung lehren. Es gibt noch viele Nuancen und chinesische Fachbegriffe, auf die ich hier bewusst nicht eingegangen bin, um euch nicht zu überladen. Ihr seid jedoch jederzeit herzlich willkommen, unsere Schule in Shaolin zu besuchen, um noch tiefer zu lernen.